72 resultados para Psychische Störung
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Depression ist die häufigste psychische Erkrankung, aber nur ein geringer Anteil der Betroffenen erhält eine angemessene Behandlung. Internetbasierte Interventionen stellen eine vielversprechende Ergänzung zu traditionellen Behandlungsformen dar, denn über das Internet können breite Bevölkerungsschichten mit wenig Aufwand erreicht werden. Die vorliegende Übersicht stellt den aktuellen Forschungsstand zu internetbasierten Interventionen bei Depressionen dar. Mehrere randomisierte kontrollierte Studien, Metaanalysen und Reviews legen nahe, dass mit strukturierten internetbasierten Interventionen, die regelmäßige Kontakte mit Therapeuten beinhalten (z.B. geleitete Selbsthilfeansätze, E-Mail- oder Chat-Therapien), Effekte erzielt werden können, die mit den Effekten von traditionellen Psychotherapien vergleichbar sind. Ungeleitete Selbsthilfeprogramme sind typischerweise mit hohen Abbrecherquoten und geringeren Effekten verbunden. Die zukünftige Forschung sollte sich vermehrt mit der Frage beschäftigen, wie internetbasierte Interventionen bei Depressionen optimal in die psychosoziale Versorgung integriert werden können. Mögliche Einsatzbereiche und die Einbettung internetbasierter Interventionen in das Versorgungssystem werden dargestellt und diskutiert.
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Die Autonomie von Personen ist nach weit verbreiteter Auffassung ein zentraler Wert, den es zu befördern und zu erreichen, zu bewahren und zu respektieren gilt. Personen scheinen ein Recht auf Autonomie gegenüber der Einmischung anderer zu besitzen und streben Autonomie selbst als persönliches Ideal an. Umgekehrt scheint es ein beklagenswerter Verlust, wenn es ihnen an Autonomie fehlt, und dieser Mangel deutet häufig auf Unterdrückung, Entmündigung oder psychische Krankheit hin. Doch was genau macht Personen autonom und inwiefern ist Autonomie so wertvoll? Liegt es an einer bestimmten Konstellation von Einstellungen und deren Bezug zueinander, wie internalistische Ansätze behaupten? Sind es bestimmte soziale Umstände und Beziehungen, die Personen externalistischen Ansätzen zufolge als autonom charakterisieren lassen? Oder lassen sich weitere Merkmale nennen? Kurz: Gelten Personen dadurch als autonom, weil sie sich zu sich selbst in einer bestimmten Weise verhalten, oder werden sie durch ihre Lebensumstände autonom? Ausgehend von Harry G. Frankfurts klassischem Modell hierarchischer Wünsche wird in diesem Band eine repräsentative Auswahl verschiedener Konzeptionen der Autonomie vorgestellt. Sie sollen nicht nur die zeitgenössische Debatte um die Frage, was genau Personen als autonom charakterisiert, abbilden. Sie stellen darüber hinaus die wesentliche Grundlage für unser Verständnis von Autonomie in angewandten Kontexten dar, wie etwa in der angewandten Ethik oder in der politischen Philosophie und der Rechtsphilosophie.
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Hintergrund und Ziel: Internetbasierte psychotherapeutische Interventionen wurden in den letzten Jahren intensiv erforscht. Als besonders vielversprechend haben sich therapeutengeleitete Selbsthilfeprogramme bei verschiedenen Angststörungen erwiesen. Eine neue Entwicklung sind transdiagnostische und individualisierte Ansätze, in welchen auch komorbide Probleme und Störungen, und breitere Patientengruppen angesprochen werden. Beim individualisierten Ansatz werden dem Selbsthilfeprogramm in Abhängigkeit der Probleme der Patienten unterschiedliche Inhalte zugeschaltet. Das Ziel dieser Studie ist die Evaluation einer internetbasierten, individualisierten, geleiteten Selbsthilfeintervention für verschiedene Angststörungen. Methode: In einer kontrolliert-randomisierten Studie wurde der individualisierte Ansatz mit einer standardisierten Intervention, die sich nur auf die primäre Störung der Klienten bezieht, verglichen. 132 StudienteilnehmerInnen, diagnostiziert mit einer Sozialen Angststörung, Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie, und/ oder einer Generalisierten Angststörung wurden randomisiert einer der beiden Behandlungsbedingungen oder einer Warteliste zugeteilt. Die Selbsthilfebehandlung dauerte 8 Wochen und wurde von Therapeuten via Email unterstützt. Erhebungszeitpunkte waren Prä, Post und 6 Monate nach Ende der Behandlung. Primäre Ergebnismasse sind störungsübergreifende Masse wie das Beck Angstinventar (BAI) und Daten aus einem diagnostischen Interview. Sekundäre Ergebnismasse sind störungsspezifische Fragebogen. Ergebnisse: Beide Behandlungsgruppen zeigten gegenüber der Warteliste-Kontrollgruppe signifikante Veränderungen auf allen Ergebnismassen. Auf der Basis der Intent-to-treat-Stichprobe betrugen die über die verschiedenen Ergebnismasse gemittelten Effektstärken im Vergleich zur Warteliste-Kontrollgruppe d=.80 für die individualisierte und d=.82 für die standardisierte Behandlungsbedingung. Die Symptomreduktion wurde bis zum 6-Monats-Follow-Up aufrechterhalten. Zwischen den beiden aktiven Behandlungsbedingungen wurden keine Unterschiede gefunden. Diskussion: Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl individualisierte wie auch standardisierte internetbasierte Ansätze zur Behandlung verschiedener Angststörungen vielversprechend sind
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This article provides an overview of the main changes in the chapter "Schizophrenia Spectrum and Other Psychotic Disorders" from DSM-IV-TR to DSM-5, which, once again, does not make allowance for potential characteristics of children and adolescents. Changes in the main text include abandoning the classical subtypes of Schizophrenia as well as of the special significance of Schneider's first-rank symptoms, resulting in the general requirement of two key features (one having to be a positive symptom) in the definition of Schizophrenia and the allowance for bizarre contents in Delusional Disorders. Further introduced are the diagnosis of a delusional obsessive-compulsive/body dysmorphic disorder exclusively as Obsessive-Compulsive Disorder, the specification of affective episodes in Schizoaffective Disorder, and the formulation of a distinct subchapter "Catatonia" for the assessment of catatonic features in the context of several disorders. In Section III (Emerging Measures and Models) there is a recommendation for a dimensional description of psychoses. A likely source of confusion lies in the double introduction of an "Attenuated Psychosis Syndrome." On the one hand, a vague description is provided among "Other Specified Schizophrenia Spectrum and Other Psychotic Disorders" in the main text; on the other hand, there is a precise definition in Section III as a "Condition for Further Study." There is some cause to worry that this vague introduction of the attenuated psychosis syndrome in the main text might indeed open the floodgates to an overdiagnosis of subthreshold psychotic symptoms and their early pharmacological treatment.
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Während die Verwitwungsforschung negative körperliche, psychische und soziale Folgen auf Individualebene vielseitig aufzuzeigen vermochte, wurde kaum untersucht, inwiefern diese individuellen Auswirkungen einer Verwitwung im Alter von Kohortenzugehörigkeit und historischem Kontext mitdeterminiert sind. Vor dem Hintergrund, dass sich sowohl Geschlechtsrollenverständnis, Familienstrukturen, aber auch das Gesundheits- und Sozialsystem in unserem Lande stark verändert haben, ist davon auszugehen, dass Verwitwete unterschiedlicher Kohorten sich hinsichtlich Ressourcen und Belastungen unterscheiden. Der vorliegende Beitrag untersucht mit Hilfe von Daten des IP13 des Nationalen Forschungsschwerpunkts LIVES (‚Democratisation of old Age’), inwiefern die subjektiv empfundenen psychophysischen, sozialen und finanziellen Folgen der Verwitwung zwischen zwei Kohorten variieren. Dazu werden Daten zweier Kohorten von verwitweten Personen aus den Kantonen Genf und Wallis im Alter von 65 Jahren und älter verglichen. Die eine Befragung fand 1979 statt (455 Verwitwete), die andere 2011 (298 Verwitwete). Die Ergebnisse zeigen, dass sich in den berichteten Schwierigkeiten nach einer Verwitwung eine Verbesserung der ökonomischen und sozialen Situation in der Schweiz in den vergangenen dreissig Jahren widerspiegelt, insbesondere für Frauen. Im Gegensatz dazu zeigen sich bei den psychischen Auswirkungen keine bedeutenden periodenspezifischen Veränderungen. Es spricht somit vieles dafür, dass der Verlust des Partners/der Partnerin psychisch auch bei günstigen sozialen Rahmenbedingungen ein kritisches Lebensereignis darstellt, das nach wie vor individuell zu bewältigen ist.
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Trotz signifikanter Zunahme von Scheidungen nach langjähriger Partnerschaft, wurde dieses Phänomen bislang kaum wissenschaftlich untersucht. Wie adaptieren ältere Leute nach diesem kritischen Lebensereignis? In der Forschungsliteratur wird die Frage, ob eine Scheidung eine temporäre Krise oder eine chronische Belastung darstellt, kontrovers diskutiert. Vor diesem Hintergrund will diese Studie die Rolle der Zeit im Vergleich zu jener intra- und interpersoneller Ressourcen für die psychische Adaptation nach einer ehelichen Trennung im Alter untersuchen. Die verwendeten Daten wurden im Rahmen des Projektes IP12 des Nationalen Forschungsschwerpunktes LIVES erhoben. Die Stichprobe besteht aus 276 Personen im Alter von 60 - 88 Jahren (140 Frauen; 136 Männer). Als kritisches Lebensereignis wurde die eheliche Trennung berücksichtigt und nicht die Scheidung, da die Zeitspanne zwischen beiden Ereignissen sehr unterschiedlich ist. Es wurden Gruppenvergleiche durchgeführt: Personen mit einer Trennung in den letzten 5 Jahren (n=53) sowie Personen mit einer Trennung seit mehr als 5 Jahren (n=105). Diese beiden Gruppen wurden mit 349 kontinuierlich verheirateten Personen gleichen Alters verglichen. Die Resultate unterstützen sowohl den Ansatz der temporären Krise wie auch der chronischen Belastung. Zwar zeigt sich im Vergleich der beiden Trennungsgruppen ein Erholungseffekt über die Zeit hinsichtlich Depressivität und Lebenszufriedenheit. Im Vergleich mit den Verheirateten allerdings weisen auch die länger Getrennten immer noch tiefere Werte in Bezug auf Lebenszufriedenheit und höhere in Bezug auf Depressivität auf. Die Bedeutung der Rolle der Zeit für die psychische Adaptation wird jedoch durch Ergebnisse hierarchischer Regressionsanalysen relativiert, welche intrapersonelle- und interpersonelle Ressourcen berücksichtigen.
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Es gibt zunehmend Beispiele, die belegen, dass die Neuroökonomie als Kombination von ökonomischer Entscheidungstheorie und Neurowissenschaften einen wichtigen Beitrag zur Psychotherapie-Forschung leisten kann. Die Berührungspunkte der beiden Disziplinen sind vielfältig: • Neuroökonomie benutzt Verhaltensexperimente, die es erlauben, komplexes menschliches Verhalten zu untersuchen. Psychotherapie verändert komplexes menschliches Verhalten. Zur Verbesserung der Diagnostik und der Evaluation von Therapieergebnissen können einfache neuroökonomische Experimente einen wichtigen Beitrag leisten. Die experimentelle Messung von zeitlichen, sozialen und Unsicherheitspräferenzen ist besonders geeignet, psychische Störungen zu charakterisieren. • Neuroökonomie ist eine Wissenschaft der menschlichen Motivation. Das Verständnis von bewussten und unbewussten Motivationsfaktoren erlaubt es Psychotherapeutinnen, die Komplexität und Tiefe der Probleme ihrer Patientinnen zu erfassen. • Neuroökonomie ist eine Sozialwissenschaft. Beziehungsprobleme gehören zu den häufigsten Klagen von Patientinnen mit psychischen Störungen, soziale Stressoren sind wichtige Ursachen psychischer Störungen und die therapeutische Beziehung ist der wichtigste Wirkfaktor der Psychotherapie. Die neuroökonomische Erforschung des Sozialverhaltens kann deshalb die Psychotherapie auf unterschiedlichen Ebenen inspirieren. • Neuroökonomie ist eine Neurowissenschaft. Psychotherapie-Forschung beschäftigt sich zunehmend mit Neuroplastizität, insbesondere mit den Effekten von Psychotherapie auf die Funktion und die Struktur des Gehirns. Der neuroökonomische Forschungsansatz macht es möglich, komplexe neuronale Funktionsstörungen bei psychischen Krankheiten zu identifizieren und ihre Modifikation durch Psychotherapie sichtbar zu machen. • Neuroökonomie ist eine umfassende Wissenschaft des menschlichen Verhaltens. Moderne Psychotherapie hat den Anspruch, psychische Störungen auf dem Hintergrund eines bio-psycho-soziales Krankheitsmodells zu verstehen und zu behandeln. Die Neuroökonomie kann einen Beitrag leisten, psychotherapeutische Krankheitsmodelle wissenschaftlich zu fundieren. Die ökonomische Entscheidungstheorie ermöglicht es, die Wechselwirkungen und Synergien von psychotherapeutischer Arbeit, somatischen Behandlungen und sozialen Rahmenbedingungen abzuschätzen. Folgende Eigenschaften schränken die Anwendbarkeit von neuroökonomischen Ansätzen in der Psychotherapie-Forschung allerdings ein: • Das Präferenz-Konzept geht von einer stabilen Verhaltensprädisposition aus. Wechsel von Präferenzen und stark situationsabhängiges Verhalten kann nur beschränkt modelliert werden. • In den meisten neuroökonomischen Experimenten wird Geld als allgemein gültiger Anreiz verwendet. Diese Methodik erlaubt es nicht, reizspezifisches Verhalten zu untersuchen. • Die Neuroökonomie abstrahiert soziale Beziehungen, um sie wissenschaftlich fassbar zu machen. Gewisse Beziehungsaspekte wie beispielsweise die Rolle von Gestik und Mimik können mit dieser Methodik nicht untersucht werden. • Die klassische ökonomische Entscheidungstheorie ist besonders geeignet, „kalte“, überlegte Entscheidungen zu verstehen. Impulsives und zeitinkonsistentes Verhalten kann mit dieser Theorie nur ungenügend beschrieben werden. Neuroökonomie ist eine junge Wissenschaft mit grossem Entwicklungspotential. Führende theoretische und Experimentalökonomen sind daran, Theorie und Forschungsmethodik zu erweitern, um situations- und reizspezifische Faktoren besser zu berücksichtigen und das „heisse“ Ende des Spektrums von Entscheidungsfindungen besser zu verstehen.
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Gender differences can influence incidence and outcome of acute and chronic pain conditions. The reasons are to be found in genetic factors, hormonal effects and differences in anatomy and physiology. Furthermore differences relating to psychiatric comorbidities (i.e. depression) and psychosocial factors (roles, coping strategies) have been demonstrated. Men and women differ in the response to drugs and other treatments. They are differently affected by side effects of drugs. There is a gender bias in diagnosis and therapy. There is a need to study the influence of gender, age and race in order to optimize treatment towards a more individualized therapy. This article highlights already identified differences.
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Quintessenz • Das Erkennen von Frühwarnzeichen, Erheben einer Risikoeinschätzung bei Eintritt und der professionelle Umgang mit aggressiven Verhaltensweisen können zu Schadensbegrenzung und geringerem Verletzungsrisiko bei Patienten, Angehörigen und medizinischem Personal beitragen. • Nicht zögern bei pharmakotherapeutischen und nichtmedikamentösen, der Sicherheit dienenden Massnahmen gegen Gewalt und Aggression. • Bei selbst- und fremdaggressivem Verhalten werden Krisengespräch und Kriseninterventionsmassnahmen in der Regel durch einen psychiatrischen Dienst, auf der psychiatrischen Abteilung Isolations- und Zwangsmassnahmen ausgeführt. • Bei Selbst- und Fremdgefährdung im Rahmen einer psychischen Störung und/oder Intoxikation können die Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung und Einweisung in eine psychiatrische Klinik in Begleitung der Sanität und/oder Polizei erforderlich sein. • Die Teilnahme an Kursen für Aggressionsmanagement ist insbesondere für Personal von Psychiatrie und Notfallzentren empfohlen.
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Der Schlaf ist eine wichtige Ressource für das psychische und physische Wohlbefinden. Die Erkenntnisse aus der Schlafforschung spielten jedoch in der Sportwissenschaft bislang nur eine untergeordnete Rolle. Nach einer kurzen Einführung zur physiologischen Erfassung von Schlaf werden in diesem Beitrag drei Bereiche aufgeführt, die fruchtbare Verknüpfungen zwischen Schlaf- und Sportwissenschaft aufweisen. Im ersten Bereich wird auf die schlafbegleitende Konsolidierung von motorischen Gedächtnisinhalten eingegangen. Dieser eher grundlagenorientierte Forschungszweig beleuchtet den Zusammenhang zwischen der Aneignung bzw. Optimierung von motorischen Fertigkeiten und verschiedenen Schlafstadien und Schlafparametern (z. B. Schlafspindeln). In dem zweiten Bereich geht es um den Schlaf vor sportlichen Wettkämpfen. Für den Sport liegt eine Vielzahl von anekdotischen Belegen über eine schlecht geschlafene Nacht vor einem sportlichen Wettkampf vor. Systematische Erhebungen existieren jedoch kaum. Anhand verschiedener Studien sollen Aspekte geklärt werden, die die Ursachen und Häufigkeiten von schlechtem Schlaf vor Wettkämpfen und die Auswirkung auf die Wettkampfleistung betreffen. Der dritte Bereich widmet sich dem Einfluss von körperlicher Aktivität auf den Schlaf. Es zeigt sich, dass der Sport einen positiven Effekt auf den Schlaf bei Menschen mit Schlafstörung aufweist. Diese Befunde weisen auf einen therapeutischen Ansatz für Sportwissenschaftler in der Schlafmedizin. Abschließend werden sportpraktische Implikationen erörtert und Perspektiven auf weitere Forschungsfragen eröffnet.
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Hintergrund: Trotz über zwanzigjähriger Forschung ist der Wissenstand zu Ätiologiemodellen bei Komorbidität psychischer Störungen und Sucht (Doppeldiagnosen) dürftig. Ziel ist es, für spezifische Störungskombinationen einen Überblick über empirisch fundierte Ätiologiemodelle zu geben. Methode: Es wurde die wissenschaftliche Literatur zu Ätiologiemodellen bei Doppeldiagnosen herangezogen, die Studienergebnisse für einige Störungskombinationen kurz zusammengefasst und Schlussfolgerungen zur Ätiologie gezogen. Ergebnisse: Alle Störungsmodelle beschreiben, ob und wie eine Störung A mit einer zweiten Störung B in einer direkt kausalen oder zeitlichen Beziehung steht (primäre und sekundäre Störung), ob beide Störungen auf einen oder mehrere gemeinsame Faktoren zurückgeführt werden können oder ob es sich um eine einzige Störung (Entitätsmodell) handelt. Es werden die empirisch begründeten Modelle zu Angststörungen und Sucht, Affektiven Störungen und Sucht sowie Persönlichkeitsstörungen und Sucht kurz vorgestellt. Dabei wird auf die Selbstmedikationsthese, das Affektregulationsmodell, das Teufelskreismodell, Modelle der primären und sekundären Störung und Modelle gemeinsamer Faktoren (z.B. Impulsivität, Belohnungssensitivität) näher eingegangen. Schlussfolgerungen: Es gibt kein allgemein gültiges Ätiologiemodell für Doppeldiagnosen. Entgegen der Erwartungen fand das Selbstmedikationsmodell empirisch nur bei einigen Komorbiditäten (z.B. Angststörungen, insbesondere Posttraumatische Belastungsstörung) empirische Unterstützung. Ätiologiemodelle wie das Affektregulationsmodell bei Angst- und Affektiven Störungen, das Modell gemeinsamer Faktoren bei Borderline Persönlichkeitsstörungen oder das Entitätsmodell bei Dissozialer Persönlichkeitsstörung sind aus empirischer Sicht vielversprechend.
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Das Verständnis vom Unterricht als Interaktionssystem (vgl. Breidenstein, 2010; Brophy & Good, 1976; Jackson, 1968; Mehan, 1998; Vanderstraeten, 2001), unterstreicht die Bedeutung der gegenseitigen Wahrnehmung von Unterrichtsstörungen für den Aufbau von sozialer Ordnung im Unterricht (vgl. Herzog, 2002, 2011; Kieserling, 1999, S. 110ff.; Luhmann, 1984; Vanderstraeten, 2001). Somit sind Unterrichtsstörungen nicht im Fehlverhalten einzelner Schülerinnen und Schüler zu verorten, sondern als Ergebnis einer unzulänglich funktionierenden Interaktionsbasis des Unterrichts zu verstehen. Dabei grenzen wir den Begriff der Unterrichtsstörung auf Störungen der sozialen Ordnung des Unterrichts ein. Unterrichtsstörungen können sich demgemäss in Form von Regelverletzungen, Schwatzen, Dazwischenrufen, Missachtung der Lehrerautorität, Rempeleien etc. äußern, wobei oft auch Disziplinprobleme miteingeschlossen werden (vgl. Nolting, 2002). Das Defizit der bisherigen Forschung, die entweder die Schüler- oder die Lehrerperspektive fokussierte (Woolfolk Hoy & Weinstein 2006, p. 206), wird im vorliegenden Beitrag durch einen multiperspektivischen Zugang, der beide Perspektiven einander gegenüberstellt, behoben. Dazu analysieren wir die Wahrnehmung von Unterrichtsstörungen aus der Sicht der Lehrpersonen sowie aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler derselben Schulklassen. Die erste Fragestellung lautet daher, inwiefern sich die Wahrnehmung von Unterrichtsstörungen in Abhängigkeit vom Ausmaß der Störung zwischen der Lehrperson und ihren Schülerinnen und Schüler unterscheidet. Die zweite Fragestellung betrifft die Reaktion der Lehrkräfte auf Unterrichtsstörungen. Dabei untersuchen wir, wie weit die Wahrnehmung der Lehrerreaktionen auf Unterrichtsstörungen durch die Schülerinnen und Schüler mit der Selbstwahrnehmung der Lehrperson übereinstimmt. In methodischer Hinsicht verfolgt die Studie einen multimethodischen Ansatz, der sowohl quantitative als auch qualitative Daten zur Analyse der Forschungsfragen beizieht. Die Datenbasis der Analysen stammt aus einem Forschungsprojekt, das in fünf deutschsprachigen Kantonen der Schweiz durchgeführt wurde und zwei Phasen umfasste. In der ersten (quantitativen) Projektphase wurden Schülerinnen und Schüler (N = 4394) sowie deren Lehrpersonen (N = 225) der 5. Primarstufe mittels eines standardisierten Fragebogens befragt (Makarova, Schönbächler, & Herzog, 2008). Für die zweite (qualitative) Forschungsphase wurden 24 Klassen nach typologischen Kriterien ausgewählt. In diesen mittlerweile 6. Klassen gaben Schülerinnen und Schüler in Einzel- und Gruppeninterviews (N = 192) vertiefende Auskünfte zum Unterricht (Schönbächler, Makarova, & Herzog, 2009). Eine auf den Interviewanalysen beruhende Ergebniszusammenstellung wurde den Lehrpersonen (N = 20) der in der zweiten Forschungsphase beteiligten Klassen zur Stellungnahme vorgelegt (Makarova, Schönbächler, & Herzog, 2010). Im Hinblick auf die erste Fragestellung zeigen die Ergebnisse eine weitgehende Übereinstimmung von Lehrer- und Schülerperspektive bei der Wahrnehmung von Unterrichtsstörungen, und zwar sowohl in Klassen mit niedrigem als auch in solchen mit hohem Störausmaß. Unterschiede zwischen der Lehrer- und Schülerwahrnehmung zeigen sich jedoch bei der zweiten Fragestellung. Die Lehrkräfte der Klassen mit hohem Störausmaß beurteilen hierbei ihre Reaktion auf Unterrichtsstörungen weit vorteilhafter als ihre Schülerinnen und Schüler. Zudem legen unsere Ergebnisse eine semantische Instabilität des Begriffs Unterrichtsstörungen nahe, in dem sie eine unterschiedliche Bedeutung von Unterrichtsstörung in Klassen mit hohem und tiefem Störausmaß belegen. Insgesamt erweist sich die im vorliegenden Beitrag angewandte Multiperspektivität in der Erfassung von Unterrichtsstörungen als gewinnbringend, da dadurch die Komplexität der sozialen Situation des Unterrichts veranschaulicht werden kann.