6 resultados para Verrechtlichung


Relevância:

10.00% 10.00%

Publicador:

Resumo:

Nachdem sich in der Kolonialkrise von 1906 das Scheitern der ersten Periode deutscher Kolonialherrschaft (1885-1906) offenbarte, wurde Bernhard Dernburg die grundlegende Reorganisation der Kolonialpolitik anvertraut. Als Mann aus der Welt der Banken und Finanzen sollte er die stagnierende Entwicklung der Kolonien mit Hilfe von administrativen und wirtschaftlichen Reformmaßnahmen vorantreiben und gleichzeitig der indigenen Bevölkerung eine humane Behandlung zu garantieren. Um diese Ziele zu erreichen, verabschiedete er Reformen, die eine Rationalisierung und Humanisierung der Arbeiterpolitik vorsahen. Sowohl in der zeitgenössischen Literatur als auch in der aktuellen wissenschaftlichen Forschung wird der Amtsantritt Bernhard Dernburgs zum Leiter der Kolonialabteilung im Jahre 1906 als der „Beginn einer neuen humanen Ära“ deutscher Kolonialpolitik oder als „Wandel zum Besseren“ bezeichnet. Die Dissertation „Schwarzer Untertan versus Schwarzer Bruder. Bernhard Dernburgs Reformen in den Kolonien Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Togo und Kamerun“ untersucht die Intention, Akzeptanz, Umsetzung und Auswirkung der reformatorischen Eingeborenenpolitik und klärt, ob die Beurteilung der Ära Dernburg (1906-1910) in der zeitgenössischen und aktuellen Forschung eine Berechtigung hat. Obwohl zumindest in der Theorie sein Konzept einer rationalen und humanen Kolonialpolitik sicherlich eine Abkehr von der bisher betriebenen Kolonialpolitik bedeutete, zeigt sich jedoch bei der Umsetzung der Reformen eine deutliche Diskrepanz zwischen Intention und Realität. Auch wenn zumindest die Bestrebung Dernburgs zur Verrechtlichung der indigenen Arbeitsverhältnisse gewürdigt werden sollte, so muss doch konstatiert werden, dass es in der „Ära Dernburg“ definitiv nicht zu einer grundlegenden Verbesserung der indigenen Lebenssituation in den deutschen Kolonien kam. Im Gegenteil, die Dernburgsche Reformpolitik beschleunigte vielmehr den Verelendungsprozess der indigenen Bevölkerung. In allen afrikanischen Kolonien verschlechterten sich mit der Intensivierung der Verwaltung die sozialen und menschlichen Beziehungen zwischen Afrikanern und Europäern. Vieles von dem, was Dernburg in seinem Programm propagierte, konnte nicht erreicht werden. Zwar führte Dernburg in Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika und in Kamerun eine rechtlich bindende Arbeiterverordnung ein, jedoch unterschieden sich die Bestimmungen zum Teil erheblich voneinander, so dass von einer einheitlichen Modernisierung des kolonialen Arbeitsrechts nicht die Rede sein kann. Viele arbeitsrechtliche Bereiche, wie z.B. die Arbeiteranwerbung, Lohnzahlung, Minderjährigenschutz, Vertragsdauer, Arbeitszeit, Verpflegung und Unterkunft wurden nur unzureichend geregelt. Ähnlich negativ muss auch die Reformierung der Strafrechtspflege bewertet werden. Die Kodifizierung eines Eingeborenenstrafrechts scheiterte sowohl am Widerstand der lokalen Verwaltung als auch am Grundkonsens der Rechtmäßigkeit einer Rassenjustiz. Kolonialpolitik war auch in der „Ära Dernburg“ nichts anderes als „rohe Ausbeutungspolitik“, die zur Lösung der Arbeiterfrage beitragen sollte. Aber gerade hier, bei der Mobilisierung von afrikanischen Lohnarbeitern, war der Kolonialstaatssekretär nicht etwa mit einer „Arbeiterfürsorgepolitik“, sondern mit der Fortführung der Enteignungs- und Zwangsmaßnahmen erfolgreich gewesen. Insgesamt ist ein deutlicher Anstieg an afrikanischen Arbeitern in europäischen Unternehmen zu verzeichnen, was darauf schließen lässt, dass Dernburgs Verordnungen einen günstigen Einfluss auf die Arbeiterfrage ausgeübt haben. Obwohl nicht von einem grundlegenden Neuanfang der Kolonialpolitik gesprochen werden kann, sollte ebenso wenig bezweifelt werden, dass sich die deutsche Kolonialpolitik nicht unter Dernburg veränderte. Größere indigene Aufstände und Unruhen blieben aus, so dass während seiner Amtszeit eine systematische wirtschaftliche Erschließung der Kolonien beginnen konnte.

Relevância:

10.00% 10.00%

Publicador:

Resumo:

Der moderne Nationalstaat mit seinen Grenzlinien, welche die räumliche Reichweite des souveränen Gewaltmonopols fixierten und gleichsam einen Kulturraum mit homogenen sozialen und rechtlichen Normen abschlossen, war lange eine zentrale Orientierungsgröße für die Geschichtsschreibung. Die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Globalisierungsprozesse der letzten zwei Jahrzehnte haben jedoch das nationale Narrativ mit seinen eindeutigen Demarkationslinien in Frage gestellt. Stattdessen sind Randzonen und Zwischenräume in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Dieser Paradigmenwechsel in Methodik und Perspektive hat auch realhistorisch seine volle Berechtigung, denn solche Zwischenräume sind keine neuartigen Phänomene der Postmoderne mit ihren globalen Transfers und multikulturellen Gesellschaften. Sie hatten sich beispielsweise stets auch während des Epochen übergreifenden Prozesses der europäischen Expansion aufgetan, insbesondere an den fluiden imperialen Randzonen. Nach eurozentrischen Maßstäben handelte es sich dabei um rechtlich nicht regulierte und territorial undefinierte Räume. Aber selbst in der Hochphase des Imperialismus sowie auch in den postkolonialen Gesellschaften konnte das nationalstaatliche Modell nur partiell etabliert werden und konkurrierte stets mit „tribalen“ oder quasi-feudalen Formen sozio-politischer Organisation. Außerdem wurde selbst in den westlichen Nationalstaaten das staatliche Gewaltmonopol sowie die soziale, rechtliche und politische Ordnung bei innerstaatlichen Konflikten wie Revolutionen und Bürgerkriegen sowie internationalen Kriegen immer wieder in Frage gestellt oder sogar ausgehebelt. In solch gewaltbasierten Umfeldern des Ausnahmezustandes und der Insurrektion sowie in solch deregulierten Räumen, weitgehend frei von Hierarchien, bürokratischer Kontrolle und rechtlichen Einschränkungen, agierten stets auch besondere Akteurstypen. Sie hatten einerseits das Privileg einer geringen Kontrolle unterworfen zu sein oder völlig losgelöst davon zu handeln, waren aber andererseits überwiegend auf sich gestellt und konnten nur sehr beschränkt den Schutz des fernen Souveräns im Hintergrund beanspruchen oder hatten sich diesen durch ihre Verhaltensweise sogar zum Gegner gemacht. Diese Akteure an den Randzonen von Souveränität und Legitimität können grob in verschiedene Typen eingeteilt werden: Zu nennen sind die Avantgardisten der Expansion wie Entdecker und Eroberer, die klassischen „Men on the Spot“ an der Peripherie von Imperien wie Militärs und Administratoren, private Gewaltunternehmer und Söldner, Insurgenten und Revolutionäre, sowie Spione und Nachrichtenhändler. Anhand verschiedener Fallstudien soll diese Figur des Akteurs an den Randzonen in globaler Perspektive beleuchtet werden. Es stellt sich die Frage nach seiner Motivation für Sondermissionen, seiner ideellen Beweggründe und politischen Überzeugung sowie seiner Beziehung zum Auftraggeber oder Souverän im fernen Hintergrund. Insbesondere ist untersuchen, ob deren Interessen trotz beschränkter Kontrolle und Rückendeckung loyal verfolgt wurden oder ob für unsere Protagonisten vor allem materielle Interessen ausschlaggebend waren, womöglich sogar einfach das Streben nach einem Betätigungsfeld mit möglichst großer Handlungsfreiheit? Während entgrenzte Verhaltensweisen in der Regel auf rechtlich nur schwach regulierte Umfeldern zurückgeführt werden, ist auch zu untersuchen, ob sich gewisse Persönlichkeiten nicht gezielt Räume am Rande oder jenseits nationalstaatlicher Rechtsnormen als Agitationsfeld suchten oder ob sie sich sogar zur Verwirklichung ihrer persönlichen Bedürfnisse solche Räume durch Subversion staatlicher Ordnung gezielt schafften. Indem die Protagonisten mit den kulturellen, politischen und rechtlichen Ordnungen ihres Betätigungsfeldes in Beziehung gesetzt werden, kann auch eine Brücke von einer rein personenbezogenen Biographik zur Strukturgeschichte geschlagen werden. Die Grenzgänger wie auch die Zwischenräume, in denen sie agierten, sind wohl auch weniger als Randerscheinungen des Ausnahmezustandes zu verstehen, sondern vielmehr als die unmittelbar mit der sich intensivierenden Verrechtlichung und Homogenisierung der westeuropäischen Nationalstaaten einhergehende andere Seite dieses Prozesses: Einerseits brauchten Regierungen zuweilen für besondere Aufgaben Akteure, die nicht an die eigenen Rechtsnormen gebunden waren, andererseits gab es stets Persönlichkeiten, die sich in der engen Rechtswirklichkeit und sozialen Ordnung des Nationalstaates nicht zurechtfanden. Darüber hinaus sind diese Grenzgänger auch als Brückenköpfe politischer wie ökonomischer Machterweiterung sowie als Schlüsselfiguren von Interaktions-, Kooperations-, Vernetzungs- und Transformationsprozessen zu verstehen – nur in Extremfällen waren sie radikale Grenzüberschreiter sowie Träger der bloßen Zerstörung und Zersetzung. Da sie in einem kulturell fremden oder zerrütteten, krisengebeutelten Umfeld agierten, gilt ein besonderes Augenmerk ihrer Rolle als Makler von Interessen, Vermittler sowie Informationsbeschaffer. Schließlich soll auch die Außenwahrnehmung dieser Randfiguren in Betracht gezogen werden. Ihre Position am Rande der Gesellschaft und der Legalität löste in der Regel eine große Faszination beim „Normalbürger“ aus, die sich entweder in Bewunderung oder Abscheu wenden konnte. Teilweise veranlassten sie einen regelrechten Medienrummel, der den Staat wiederum in Zugzwang bringen konnte, oft mit beachtlichen Folgen.

Relevância:

10.00% 10.00%

Publicador:

Resumo:

In dem vorliegenden Beitrag werden neuere schulgesetzliche Initiativen erörtert, die u.a. eine Reform des Übertritts aus der Grundschule an weiterführende Schulen beabsichtigen. Diese Bemühungen ordnen sich in die schon lange zu beobachtende Tendenz zur Stärkung der individuellen Rechte von Schülern und Eltern ein, wie sie mit dem Prozeß der Verrechtlichung der Schule in der Bundesrepublik verbunden ist. Eine genauere Betrachtung der entsprechenden Regelungen und einiger dadurch ausgelöster gerichtlicher Konflikte weckt allerdings Zweifel an Voraussetzungen und insbesondere an Ergebnissen der eingeleiteten Politik: Handelt es sich nicht doch um eine versteckte Form der staatlichen Steuerung der Schulwahl? (DIPF/Orig.)